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„Brauchen Sie Hilfe?“

Ich bin nicht mehr unsichtbar. Das war eines der ersten Dinge, die ich gelernt habe, als mein Rollstuhl zu mir kam. Das ist nun knapp 10 Monate her und ich schwanke immer noch, ob das nun gut oder schlecht ist. Seitdem habe ich mehr Kontakt zu fremden Menschen gehabt als mein ganzes restliches Leben lang. Das sind immerhin 22 verbleibende Jahre. Größtenteils ist dieser Kontakt sehr positiv gewesen und ich habe einige nette Menschen kennen lernen dürfen. Es ist mir im Kontakt mit anderen Menschen wichtig, freundlich zu sein. Immer wieder werde ich gefragt:

“Brauchen Sie Hilfe?”

Über solche Angebote freue ich mich meistens. Meistens sage ich “Nein, danke, das geht so.”, aber manchmal nehme ich die Hilfe auch an, wenn ich sie tatsächlich brauche. Oft wird meine Entscheidung ernst genommen. Darüber bin ich sehr froh, denn es gibt traurigerweise auch die Menschen, die ein “nein” nicht akzeptieren können. Auch nicht, wenn ich es zwei Mal freundlich wiederholt habe. Hier ein paar Beispiele aus meinem Alltag zur Verdeutlichung:

Situation 1: Ich kaufe im Supermarkt ein und werfe alles in meine Kiste, die auf meinem Schoß steht. Als ich alles habe fahre ich an die Kasse und will anfangen, meine Kiste auszuräumen. Die Kasse ist abgesehen von mir leer. Ich greife eine Packung Tempos und will sie auf das Band legen. Die Packung rutscht mir aus der Hand, weil ich sie doof gegriffen habe. Die Kassiererin sieht das und springt gleich hilfsbereit auf: “Warten Sie, ich helfe Ihnen!”. Ich antworte “Danke, das geht auch so.”. Sie dreht sich allerdings nicht um und setzt sich wieder hinter ihre Kasse. Stattdessen fängt sie fröhlich an, meine Kiste trotzdem auszuräumen und sagt noch “Das geht doch so auch viel schneller.”. Vielen Dank dafür, ich bin also auch noch zu langsam.

Situation 2: Ich mache eine Woche Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff einer sehr bekannten Reederei. Auf dem Weg zum Restaurant geht es an einer Stelle ganz leicht (wirklich kaum zu merken) eine Rampe hoch. An jedem Eingang steht Personal. Das Personal sieht mich kommen und geht auf mich zu, um mir hoch zu helfen. Wohlgemerkt ohne zu fragen. Ich merke, wie jemand von hinten an meinem Rollstuhl schiebt. Ich sage “Nein, danke.”. Ich merke immer noch, wie jemand von hinten an meinem Rollstuhl schiebt. “Bitte nicht helfen.”. Ich merke immer noch, wie jemand von hinten an meinem Rollstuhl schiebt. Ich drehe mich um, schaue den Mitarbeiter an und sage energisch “Nein!”. Plötzlich sieht er erschrocken aus. Das ist leider dort kein Einzelfall gewesen, denn dieses Szenario hat sich jeden Tag mindestens ein Mal abgespielt.

Situation 3: Ich bin einkaufen und stehe mit meiner Kiste auf dem Schoß an der Kasse. Plötzlich greift von hinten ein Arm in meine Kiste und räumt meine Sachen auf das Band. Ohne zu fragen. In dem Moment war ich einfach zu verduzt, um etwas zu erwidern.

Ich finde es sehr schade, dass ich manchmal in solchen Situationen unfreundlich werden muss, aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Als Rollstuhlfahrerin habe ich schon öfter die Erfahrung machen müssen, dass man offenbar entmündigt wird und es einem nicht mehr zugetraut wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ganz zu schweigen davon, sie auch noch zu vertreten. Wenn das passiert sind viele dann überrascht.

Liebe hilfsbereite Menschen da draußen, ihr seid toll! Aber bitte bitte fragt uns, ob wir Hilfe brauchen, und vor allem akzeptiert unsere Entscheidung! Wir selbst können uns am besten einschätzen.

 

Foto: berggeist007 / pixelio

5 Kommentare

  1. Hallo Anna,

    ich habe deinen Artikel aufmerksam gelesen und auch mich selber
    in der ein oder anderen von dir beschriebenen Situation gesehen.
    Leider ist es genau, wie du es beschreibst: Du wirst auf eine gewisse
    Art und Weise entmündigt.
    Ich werde mir deine Worte sehr zu Herzen nehmen und in der nächsten
    Situation dieser Art anders handeln – also nicht denken:
    “Sie oder Er braucht meine Hilfe – sondern erstmal fragen!”

    Liebe Grüße,
    Jürgen

    • annamareike

      Hallo Jürgen,
      vielen Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich sehr, wenn ich auf Dinge aufmerksam machen kann, über die man sich sonst naturgemäßg relativ wenig Gedanken macht. Schön, dass du dir meinen Beitrag so zu Herzen nimmst 🙂
      Liebe Grüße,
      Anna

      • Darum geht es, das ist der Punkt!
        Leider macht man sich zu wenig Gedanken über solche Situationen.
        Man ist der Meinung gutes zu tun, dabei macht man im Grunde das Falsche.
        Ich jedenfalls habe etwas gelernt!

        Jürgen

  2. […] mir das nicht angewöhnt, dann könnte ich mich nicht darüber freuen, dass so viele Menschen so hilfsbereit sind. Dann würde ich mich nämlich sonst die ganze Zeit darüber ärgern, deren Hilfe überhaupt […]

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